Laudatio anlässlich der Buchvorstellung „Großes Ey“ von Ute Bales
Liebe Frau Bales, liebe Frau Meyer, lieber Herr Bales, meine sehr verehrten Damen und Herren,
im zeitlichen Abstand von jeweils 2 Jahren erschien nach den Buchveröffentlichungen „Der Boden dunkel“ 2006, „Kamillenblumen“ 2008, „Peter Zirbes“ 2010 und „Unter dem großen Himmel“ 2012 nun kurz vor der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2014 der 5. Roman der Schriftstellerin mit dem Titel “Großes Ey“. In einer unermüdlichen Korrespondenz mit Frau Bales …
Liebe Frau Bales, liebe Frau Meyer, lieber Herr Bales, meine sehr verehrten Damen und Herren,
im zeitlichen Abstand von jeweils 2 Jahren erschien nach den Buchveröffentlichungen „Der Boden dunkel“ 2006, „Kamillenblumen“ 2008, „Peter Zirbes“ 2010 und „Unter dem großen Himmel“ 2012 nun kurz vor der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2014 der 5. Roman der Schriftstellerin mit dem Titel “Großes Ey“. In einer unermüdlichen Korrespondenz mit Frau Bales wurde ich Zeuge, wie die Romanschreiberin wochenlang um den Buchtitel rang und dann eine Lösung fand, die diesem tapferen Düsseldorfer Urgewächs gerecht wird. Die diesjährige Verleihung des Friedensnobelpreises an eine 17-jährige pakistanische Frauenrechtlerin und einen 60-jährigen indischen Kinderrechtler läuft in die sympathische Richtung, die Frau Bales veranlasste, das Leben einer Persönlichkeit transparent zu machen, die teilweise entwurzelten Studenten und Künstlern ein Stück Heimat anbot, die diese dankbar annahmen. Welche Klippen vor, in und nach den beiden Weltkriegen umschifft werden mussten, wie oft Frau Ey in den politischen Wirren fiel und immer wieder aufstand, erfahren wir detailliert in einem faszinierenden Roman, in den Frau Bales geschickt ihre Studienrichtungen Germanistik, Politwissenschaft und Kunst einfließen ließ.
Als ich vor wenigen Wochen den Roman, aus Freiburg kommend, auspackte, nahm minutenlang das Bild der „Johanna“ auf dem Buchumschlag meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Im Gesichtsausdruck, in ihrer Haltung, in ihrer gesamten Erscheinung erkennen wir eine selbstbewusste, kämpferische, vom Schicksal gezeichnete aber auch gutmütige Frau, wie wir sie im Roman in filigran dargestellten schicksalsträchtigen Ereignissen erleben. Es ist der Typ Großmutter oder Oma, wie ich ihn in meiner Kindheit und Jugend verehrte.
Liebe Frau Bales, es ist bewundernswert, welche Fülle von Recherchen Sie um das bewegte, nie langweilige Leben der Johanna Ey angestellt haben, wie viele Fahrten notwendig wurden, die zahlreichen Orte des Geschehens zielbewusst zu bereisen. Sie haben sich so mit der Person „Johanna“ auseinander gesetzt, ja identfiziert, dass Sie in deren Richtung dachten, fühlten und argumentierten. Auch Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird es bei der heutigen Lesung und dem späteren Lesen des Buches so ergehen, dass Sie den Inhalt des Romans emotional miterleben. Zorn, Wut, Freude, Anerkennung, Aufatmen, Enttäuschung, Hoffnung, Bangen, Bewunderung sind Gefühlsmomente, die zu Ihren Reaktionen gehören werden. Sollten Sie den 2012 erschienenen Roman „Unter dem großen Himmel“ gelesen haben, werden Sie mit Freude eine geschickte Verzahnung des Geschehens zum druckfrischen Roman „Großes Ey“ feststellen können. Der in der Vulkaneifel beheimatete Maler Pitt Kreuzberg gehörte viele Jahre zu der Künstlergruppe, die sich in der Nähe der Kunstakademie in Düsseldorf in Johannas Backwarenladen regelmäßig traf und eine eigene Vorstellung von Kunst entwickelte.
Der 420 Seiten umfassende Roman spiegelt in geschickter Anordnung der Lebensstationen das überaus bewegte Leben „Johannas“ wieder, die von ihren Künstlern liebevoll „Mutter Ey“ genannt wurde. Frau Bales versteht es, die Düsseldorfer Kunstszene, die kritische Stellungnahme der Kunststudenten zur nahen Kunstakademie, die Einflüsse von zahlreichen antiken und zeitgenössigen Malern, die gesellschaftspolitischen Ansichten, die fürchterliche Wirkung der Kriege auf das sensible Gemüt der Maler, das psychologische, aufbauende Wirken Johannas auf die zerrütteten Künstlerseelen, die platonische Liebe der Romanheldin zu einem spanischen Maler, die ausweglose Situation vieler Frauen gegenüber einem gewalttätigen Trunkenbold als Vater oder Ehemann wiederzugeben.
Besonders anerkennend erachte ich die Logik und Konsequenz, mit denen dieser Roman absolut glaubwürdig die unterschiedlichen Charaktere, Temperamente und Stimmungen auf der einen Seite, die Demagogie der Parteipropaganda, die politische Ausnutzung der Not der Bevölkerung und die geschickt gelenkte Volksmeinung vor, während und nach den Kriegen auf der anderen Seite wiedergibt. Der Einstieg in den Roman ist geschickt gewählt, in dem 1933 fünf verblendete, aufgehetzte Soldaten mit Fäusten und Pistolenkolben in der sogenannten „Stunde der Säuberung“ die – wie sie sich ausdrückten – Schmierereien von Geisteskranken als entartete Kunst bei Johanna zerstörten.
Das wortschöpferische Agieren, die unverwechselbare Sprache, angereichert mit bildhaften Ausdrücken, die erfreulicherweise fast ohne die gängigen zur Selbstverständlichkeit gewordenen, in die deutsche Sprache einverleibten Fremdwörter auskommt, gehören zu den Vorzügen, die wir auch in den letzten Romanen von Ute Bales bewundern durften. Ich erlaube mir, die auf Seite 151 gefundene Beschreibung des Malers Dix wortwörtlich wiederzugeben, um Ihnen, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer einen Eindruck des Wörterangebots, des sprachlichen Feuerwerks zu vermitteln: Dix, in fliegendem Cape, mit großem Hut, in übertrieben weiten, zu kurzen Hosen und zu eng gebundener Krawatte, begrüßte Johanna mit Handkuss. Er war klein und hatte etwas von einem Lebemenschen. Auch wenn er wenig sprach, war er äußerst lebendig, beinahe zappelig in seinen Bewegungen, schien alles aufzusaugen, was er sah. Sein scharf geschnittenes Gesicht war das eines Rauchers: fahl und pickelig. Die Unterlippe schob er permanent vor, wodurch sich tiefe Linien um die Mundwinkel gegraben hatten. Sein Blick aus grauen Augen war kritisch, fast brutal. Die gewulstete, breite Stirn deutete auf einen Denker hin. Seine blonden Haare hatte er zurückgebürstet und mit reichlich Pomade an den Kopf geklebt. Die muskulösen Hände waren die eines Arbeiters....So weit das Zitat!
Auch in diesem Roman kommt der geschickt gewählten „Wörtlichen Rede“ in zahlreichen Zwiegesprächen eine ganz besondere Bedeutung zu, zumal wir die Denkweise der Künstler in der politisch äußerst schwierigen Zeit verstehen lernen. Das abgeschwächte rheinische Dialekt wird wie in den Romanen über Peter Zirbes und Pitt Kreuzberg von allen Lesern verstanden, die der deutschen Sprache mächtig sind. Die „Wörtliche Rede“ verleiht dem Handlungsgeschehen einen Echtheitscharakter und ist gekonnt von den Romangestalten abgesetzt, die von der Bildung her oder von Amts wegen hochdeutsch sprechen.
Dank Ihres fleißigen Recherchierens, liebe Frau Bales, vermitteln Sie den Lesern in geschichtlicher, geographischer, kunstgeschichtlicher und künstlerischer Hinsicht ein großes Allgemeinwissen und den Nährboden, die sozialpolitischen Wirren, die Zustände an Kunstakademien, die unsinnigen, menschenverachtenden Exzesse einer demagogischen, fanatischen Politik bis zu den verheerenden Folgen zweier Weltkriege besser zu verstehen. In meinen Augen wäre es wünschenswert, wenn zumindest Auszüge von den schrecklichen Kriegsschilderungen der verstörten Maler als Schullektüre eine abschreckende Wirkung als Gegenpol zu den weit verbreiteten Computerkriegsspielen erzielen könnten.
Johanna Ey, Ehrenbürgerin der Stadt Düsseldorf, Heimathafen vieler Studenten und Künstler, wird in Ihrem Roman, liebe Frau Bales, in ihrer ganzen Wirkungsbreite, mit all ihren Stärken und Schwächen, Siegen und Niederlagen in einem umfassenden Roman bis ins kleinste Detail in sprachlicher Meisterleistung vorgestellt und verdientermaßen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Meine Aufgabe sah ich darin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie für diesen neuen Roman „Großes EY“ zu sensibilisieren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!