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Ute Bales

Autorin im Rhein-Mosel-Verlag

Kamillenblumen

 

In der Eifel wurde es Frühling. Das erste zarte Grün legte sich über die Wiesen und der wenige Schnee, der jetzt noch fiel, blieb nicht mehr liegen. Die Sonnenstrahlen brachen sich in unzähligen Regentropfen, die an den noch kahlen Zweigen hingen. Ein paar Tage schon hatte Traud so gut wie nichts gegessen, außer einem Ei, das sie einem Nest entnommen, ausgestochen und getrunken hatte. Wasser gab es im Überfluss, aber die Felder lagen öde, die Sträucher standen kahl.

 


Sie hatte keine Kamillenblumen mehr zum Verkauf, so dass sie erwog, im nächsten Dorf zu betteln. Obwohl Maria ihr tausendmal eingeschärft hatte, dass sie keine Bettlerinnen seien, schreckte sie dieser Gedanke nicht mehr. Sie dachte nur daran, irgendwo ein bisschen Ruhe zu finden, einen Platz, an dem sie, wenn auch nur kurz, ein wenig Schutz finden könnte.
Gegen Mittag erreichte sie die Franzenmühle bei Mannebach. Mehrfach schon war sie mit Maria durch Mannebach gezogen und sie kannte ein paar Häuser, wo man um Arbeit anfragen könnte. Sollte sie nichts finden, beschloss sie neben dem Dorfbrunnen die Hand aufzuhalten.
Bei Nikolaus Jax, einem Gesundbeter und Wunderheiler, der insbesondere Warzen und Hautausschläge wegbetete, erhielt sie einen Teller Dickmilch. In den anderen Häusern gab es nur abschlägige Antworten. Mit der Feldarbeit wäre es noch nichts, kräftige Männer würden gebraucht zum Umgraben der Felder, keine schwachen Weiber. Traud hörte nicht mehr zu, als man ihr im letzten Haus mit abwehrenden Handbewegungen entgegen trat und verließ wortlos den Hof, zog ihr Bündel hinter sich her, das über den Boden streifte und wusste nicht mehr wohin. Die Sache mit dem Betteln verwarf sie, damit würde es hier auch nichts werden. Sie müsste also weiter, fort und immer wieder fort. Sie durchquerte ein weites Waldstück, dann ein zweites.
In ihrer Verzweiflung und Erschöpfung blieb sie am Ortsausgang von Arbach neben einem Wegekreuz stehen und schloss die Augen. Ihr schwindelte, die Beine knickten ein. Eine ganze Weile saß sie im Halbdämmer, gelehnt an den Stein. Ein gefleckter, armseliger Köter, der herum strich, schnoberte an ihren Füßen. Sie hatte nicht einmal die Kraft, ihm einen Tritt zu geben.
Als sie ihren Namen rufen hörte, schreckte sie auf. »Traud, Traudchen!«, hörte sie eine Männerstimme von den Wiesen her. Noch benommen sah sie, wie ihr eine Gestalt aufgeregt entgegen rannte, mit der Mütze winkte und weiterhin ihren Namen rief. Als sie erkannte, dass es Paul war, richtete sie sich mühsam auf. Nie hätte sie geglaubt, ihn nochmals wiederzusehen.
Er war jetzt fast bei ihr, ließ seinen Beutel ins Gras fallen und öffnete seine Arme. »Traud, ich hab dich gesehn. Als du durch dat Dorf bist. Ich konnt nur net sofort weg. Bin im Lohn beim Kuffes. Sag, wie siehst du denn aus?« Entsetzt registrierte er ihren verwahrlosten Zustand, das müde, abgezehrte Gesicht, die matten Augen. »Fehlt dir wat?«
Traud schüttelte den Kopf, erzählte kurz, dass sie ihre Mutter verloren habe und sich jetzt alleine durchschlage. »In Kolverath liegt die Mutter und ich wusst net wohin. Von hier muss ich auch wieder fort. Ich find kein Arbeit.«
»Ich frag für dich. Beim Kuffes gibt et immer wat zu tun und wenn et nur für zwei Tag ist«, bot Paul an und fügte hinzu: »Ich muss wieder fort. Aber du – bleib hier und warte. Oder nein, besser geh doch einfach mit und wir fragen zusammen.«
Sie wehrte ab. »Schau doch, wie ich ausseh. So gibt mir keiner Arbeit. Die Leut denken, ich wär en Diebin, en Bettelmensch.«
»Denk doch sowat net. Wenn se dich erstmal kennen … Du bist immer noch so hübsch, und dein Haar is so wild wie früher.« Er strich ihr über die dunklen Locken. Die Berührung tat gut und Traud lächelte. »Wenn du willst, komm gegen Abend hier vorbei. Ich wart auf dich.«
»Ja, Traud, ich komm. Und dat du ja wartest. Denk dran, mir wird schon wat einfallen.«
Im ersten Moment dachte sie daran, schnellstens von Arbach zu verschwinden, das nächste Dorf lag nicht weit, eine Stunde höchstens. Andererseits gefiel es ihr, dass er ihr hinterher gerannt war und sich nun wieder um sie bemühte. Sie tastete nach dem Taschentuch. Ja, sie würde auf Paul warten. Warm wurde ihr bei dem Gedanken, dann aber fielen ihr die Warnungen der Mutter ein, dass es nichts Gutes bedeuten könne, wenn sich jemand um sie bemühe. Kurz entschlossen packte sie sich ihr Bündel auf den Rücken und machte sich auf den Weg nach Salcherath.