Die Tortur des Pragmatismus
Eine Rezension von Detlef Foth
Die Tortur des Pragmatismus
Ute Bales Roman "Am Kornsand"
Eine Rezension von Detlef Foth
Ute Bales ist eine mutige Autorin; sie bringt den Schrecken leise zum Klingen, erspart uns nicht den Blick in den Abgrund, verzichtet aber auf das große Drama, denn wir würden uns nur abwenden, abwehrend und voller Abscheu, derart erkannt worden zu sein. Schuldig sind wir alle; es geht ihr um Schuld und Sühne bzw. die Tatsache der Schuld und die Unmöglichkeit von Sühne; es geht ihr auch darum, festzuhalten, dass das Vergangene omnipräsent ist.
Wo anfangen bei diesem Buch?
Hans Kaiser liquidiert kurz vor Kriegsende sechs Zivilisten durch Genickschuss - man stellt ihn im Nachkriegsdeutschland vor Gericht: Hans Kaiser leugnet nicht, in seiner ganzen Mittelmäßigkeit ist er gradlinig, er gesteht, dies im Übrigen großartig beschrieben. Zehn Jahre Haft, eine Ewigkeit für einen 22jährigen Mann, gleichwohl ein merkwürdig lauer Preis für sechs Menschenleben, unnötig ausgelöscht, auf Befehl, wie es heißt. Unglaublich beiläufig, morbid und banal, grau in grau, das herrische Geplänkel im Wirtshaus, in welchem ein Jedermann namens Schniering und ein Jedermann namens Funk, Nazis, exemplarisch, unverfälscht, beschließen, diese sechs Menschen, die den Rhein am Kornsand überqueren möchten, hinzurichten, und zwar auf abstruse, paranoide Vermutungen hin. Hans Kaiser signalisiert Bereitschaft, der Vollstrecker zu sein; der Wirt sagt: Sehr zum Wohl.
Ist das die ganze Geschichte? Nein.
Die Geschichte beginnt sozusagen in der Zukunft, in den frühen 70er Jahren, für uns gleichsam in der Vergangenheit: Hans Kaisers Tochter Helga leidet unter einem rätselhaften Hautleiden; Hans Kaiser, der Mörder, ekelt sich vor der eigenen Brut: Helga wird nach Wyk auf Föhr und an die Nordsee verschickt; dort erlebt sie eine Hölle besonderer Art - in nicht zu erahnenden Weise verfährt man dort mit erholungsbedürftigen Kindern - solche Grausamkeiten kann man nicht erfinden, die Realität ist stets einen Schritt voraus.
Büßt Helga bereits für die verdrängte Schuld des Vaters?
Hier weist das intensive Buch in seiner Anklage und seiner Erinnerung Brüche auf: Die Geschichte Helgas wäre ein Buch, das Buch Hans Kaisers ein weiteres, und doch sind beide Bücher zu einem verwoben. Absicht? Ja, sicher. Denn unausgesprochen geht es um Erbsünde, um Urschuld. Es geht hier weniger um einen Generationenkonflikt, es geht um weit mehr.
Hans Kaiser hat sich gut eingerichtet in Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders, wie ein Chamäleon passt er sich den neuen Farben von Wohlstand und Sittsamkeit an: seine stumme und untertänige Frau verrichtet brav den Haushalt, er maßregelt seine dumme Göre, die seine Tochter ist, und sich ständig blutig kratzt. Doch die schaurige Idylle bekommt Risse: Journalisten vom STERN tauchen auf. Man kommt dem Gutbürger und Mercedesfahrer Kaiser auf die Schliche, findet buchstäblich Leichen in seinem Keller. Die ganze Familie kracht. Ach!
Worin liegt nun die außergewöhnliche Qualität dieses Buches? Es ist von hoher Moral, von einer Böllschen Wucht und Eindringlichkeit; es scheint aus der Zeit gefallen und ist doch die Zeit an sich: nicht korrigierbar, niemals verwunden, immer präsent. Keine Möglichkeit, eigene Verfehlungen ungeschehen zu machen, immer unter Beobachtung all der Toten, die ein jeder Deutsche, aktiv oder passiv in seinem Handeln, auf dem Gewissen hat.
Natürlich kommt ein solches Buch ungelegen, immer - Ute Bales hat es dennoch geschrieben.
Absolut empfehlenswert.
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Detlev Foth
Düsseldorf
www.detlevfoth.de