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Ute Bales

Autorin im Rhein-Mosel-Verlag

Großes Ey

 

Dame im lila Kleid

Im Frühjahr, nachdem Johanna zwei seiner Radierungen verkaufen konnte, überfiel sie Dix mit einem Ansinnen. »Ich hab einen Wunsch. Sogar einen großen. Und weil ich jetzt etwas Geld habe, kann ich ihn endlich aussprechen.« Er zählte das Geld, das sie ihm für die Radierungen auf den Tisch gelegt hatte, in seine Börse und grinste. »Das war mehr als dringend. Wenn du wüsstest, wie abgebrannt ein Mensch sein kann.«

 


»Das weiß ich. Auch deshalb will ich dich was fragen.« Energisch sah sie aus in ihrem blauen Rüschenkleid, den hochgesteckten Haaren, dem gutmütigen, aber bestimmenden Blick. »Ich weiß ja, dass ich mich auf was gefasst machen kann, aber ich möchte, dass du mich malst. Gegen Bezahlung.« Dix stutzte. »Ich hab dich oft gemalt. In deinem Notizenbuch gibt es Skizzen.«
»Nein, keine Zeichnung. Ein Ölbild. Male mich wie eine Spanie­rin. Mit meinem spanischen Kamm. So, wie eine moderne Frau eben aussieht.«

Bei seinem nächsten Besuch trug Dix eine Feldstaffelei unterm Arm. Ein mitgebrachter Beutel enthielt neben Farben und Stiften einen rotglänzenden Stoff, den er über die Chaiselongue breitete. »Das ist der Hintergrund. Was meinst du?« Zufrieden ließ sie sich auf der Couch nieder, suchte nach der richtigen Position, befühlte den Stoff. Während Dix die Staffelei aufbaute und sich Stifte zurechtlegte, steckte sie sich ihren spanischen Kamm ins Haar.
»Zuerst ein paar Zeichnungen, dann sehn wir …«
Steif saß sie mit überschlagenen Beinen, ein schwarzes Spitzentuch umrahmte das Gesicht. Sie hatte den Blick fest auf ein Bild von Kaufmann gerichtet, hörte das leichte Kratzen des Bleistifts auf dem Papier.
Dix arbeitete schweigend. Immer wieder sah er auf, durchforstete ihr Gesicht, ihre Haltung. Dann strichelte er wieder. Plötzlich hielt er inne. »Nein, so geht es nicht. Steh auf. Wir machen es anders.« Er bat sie, sich neben das Fenster, vor eine Bilderwand zu stellen. »Wie eine Königin sollst du aussehen. Kennst du diese Herrscherbilder in den Schlössern? Die Adelsportraits? Herzoginnen in blauem Umhang mit Hermelinkragen? In repräsentativer Haltung selbstverständlich. Stell dir Eleonore Amalie von Schwarzenberg oder Ludwig XIV vor.« Johanna musste lachen. »Ich und Amalie von Schwarzenberg …« Auch Dix lachte. »Genau. So in der Art. Ein Dreiviertelportrait oder ein Kniestück könnte es werden. Und groß. Ein richtiges Format. Ein Meter auf einsfünfzig. Aus deinem Kamm mach ich ein Diadem. Das ist es überhaupt. Das Ding soll herausstechen. Und dann der rote Stoff als Hintergrund. Ja, das ist gut. Ich will mit dem Kopf anfangen. Nimm mal das Tuch ab.« Er nahm ein neues Blatt, markierte Punkte, begann mit den Umrissen des Kopfes. Sie wollte etwas sagen, schwieg aber, denn als sie in seinem Gesicht las, erkannte sie, dass sie zu einem Objekt geworden und es für ihn gleichgültig war, wen oder was er vor sich hatte. Hinter seiner wulstigen Stirn arbeitete es. Da waren nur noch das Ineinanderschneiden von Linien, die Kontraste von Farben und Licht, die Tiefe des Raumes. In seinem Blick lag etwas Gieriges und Grausames. Jedes noch so kleine Detail schien er zu erfassen, zu zerstückeln und zu zerschneiden. Er arbeitete verbissen. Seine Anspannung übertrug sich auf Johanna. Immer wieder verlagerte sie das Gewicht von einem auf das andere Bein; manchmal zuckten die Hände. Sie sprachen kein Wort.
Als er die Sitzung beendete und ihr die Skizze zeigte, war sie erleichtert. Er hatte sie nicht, wie sie es befürchtet und bei anderen erlebt hatte, seziert und herabgesetzt. Mit wenigen Strichen, Linien und Schattierungen war es ihm gelungen, ihren strengen und entschlossenen Gesichtsausdruck einzufangen, auch die leicht provozierende Haltung.
Schon tags darauf wechselte er zu Leinwand und Ölfarben.

Lange standen sie vor Dix’ Portrait. »Es ähnelt den Fürstinnenbildern von Velazquez«, stellte Wollheim fest, »so wie du dastehst. Stolz und aufrecht. Mit viel Präsenz. Irgendwie gewaltig. Fehlen nur noch Reichsapfel, Zepter und Krone.« Auch Schmitz stand prüfend vor dem Bild: »Ja, wie eine Königin, ganz richtig.« Johannas Blick durch dicke Gläser war streng und entschlossen. Ihre Hand mit kleinen wulstigen Fingern war energisch zur Faust geballt und lag auf einem kleinen Tischchen, während die andere ein wenig hilflos an ihrem formlosen Körper ruhte. Links neben ihr war eine Säule zu sehen, rechts ein dunkelroter, prächtig drapierter Vorhang. Das Besondere aber war die Farbe des Kleides. Dix hatte Violett gewählt, das Violett der Könige. Ein dunkler Pelzkragen hob sich ab vom Weiß ihrer Haut. »Ich meine, das ist ein Bild für die Ewigkeit. Da ist Dix eines der besten Portraits gelungen, die es von dir gibt. Er ist ein hartnäckiger Forscher, entfernt brutal alles Beiwerk, trifft mit Präzision den wahren Grund der Dinge.« Schmitz trat zurück, betrachtete das Bild mit Abstand. »Es zeigt exakt, was dich ausmacht. Die Brille, die kleinen Augen, das Doppelkinn. Auch die Armut und das Verruchte, das so ein bisschen an dir haftet. Und das Königliche. Du bist ja auch eine Königin, hier in der Galerie, für uns, dein Malervolk.«